Gesetzliche Erwerbsminderungsrente
Wer Anspruch auf die gesetzliche EM-Rente hat
Ein Unfall, eine schwere Krankheit oder ein psychisches Leiden: Muss die berufliche Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt werden, zahlt die gesetzliche Rentenversicherung eine Erwerbsminderungsrente. Doch Vorsicht: Wer sich allein auf die gesetzlichen Leistungen verlässt, dem droht schnell der finanzielle Ruin. Was Angestellte, Freiberufler und Selbstständige an Rente erwarten können und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, erklärt der Ratgeber.
Voraussetzungen für den Bezug - Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
Die Erwerbsminderungsrente erhalten gesetzlich Versicherte, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, im vollen Umfang am Arbeitsleben teilzunehmen. Dem Gesetzgeber steht dabei ein Verweisungsrecht zu. Der Rententräger zahlt also nur, wenn der Versicherte auch nicht in einem vergleichbaren Beruf arbeiten kann.
Dabei wird zwischen folgenden Fällen unterschieden:
Volle Erwerbsminderung
Wer nicht mehr in der Lage ist, täglich mindestens 3 Stunden zu arbeiten, dem steht die volle verminderte Erwerbsrente zu.
Teilweise Erwerbsminderung
Wer täglich zwischen 3 und 6 Stunden arbeiten kann, erhält den Status der teilweisen Erwerbsminderung (und bekommt die halbe Erwerbsminderungsrente). Hier wird dann vom sogenannten Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesprochen.
Sonderfall Arbeitslosigkeit
Wer eine halbe Erwerbsminderungsrente erhält und arbeitslos ist, kann aufgrund der fehlenden Perspektive Anspruch auf eine Rente aufgrund voller Erwerbsminderung haben.
Sonderfall: vor dem 2.1.1961 Geborene
Wer vor dem 2.1.1961 geboren wurden, kann eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im bisherigen Beruf bekommen, obwohl er noch in einem anderen Beruf noch mindestens sechs Stunden täglich einsetzbar ist. Hier wird geprüft, ob eine andere Tätigkeit zumutbar ist.
Versicherungsrechtliche Voraussetzungen für den Bezug
Fünfjahreszeitraum
Grundsätzlich müssen Betroffene insgesamt mindestens fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung in die Rentenkasse eingezahlt haben (allgemeine Wartezeit).
Bei der Ermittlung des Fünfjahreszeitraums bleiben Zeiten, die unverschuldet nicht mit Pflichtbeiträgen belegen werden konnten, unberücksichtigt. Der Fünfjahreszeitraum wird dann um die genannten Zeiten in die Vergangenheit verlängert.
Zur Wartezeit zählen
- Beitragszeiten, dazu gehören bspw. Pflichtbeitragszeiten, freiwillige Beitragszeiten und unter bestimmten Voraussetzungen auch der Bezug von Krankengeld, Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II (2005 - 2010) oder Übergangsgeld, Zeiten der Kindererziehung und der nicht erwerbsmäßigen häuslichen Pflege
- Ersatzzeiten: bspw. Zeiten der politischen Verfolgung in der DDR,
- Zeiten aus einem Versorgungsausgleich bei Scheidung,
- Zeiten aus einem Rentensplitting
- Zeiten aus Zuschlägen für eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung
In einigen Ausnahmefällen muss diese Wartezeit nicht eingehalten werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit eintritt.
Beitragszahlung
Zudem besteht ein Anspruch nur, wenn innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens drei Jahre lang Beiträge gezahlt wurden. Wer als Selbständiger oder aufgrund einer beruflichen Auszeit keine Beiträge zahlt, kann seinen Anspruch auf gesetzliche Leistungen verlieren.
Welche Krankheiten führen zu Erwerbsminderung?
Skelett / Muskeln / Bindegewebe | Herz- / Kreislauf | Stoffwechsel / Verdauung | Neubildungen | Psychische Störungen | |
1996 | 27,6 | 17,6 | 4,9 | 10,8 | 20,1 |
2000 | 25,4 | 13,3 | 4,9 | 13,5 | 24,2 |
2005 | 18,1 | 11,0 | 4,3 | 14,5 | 32,3 |
2010 | 14,7 | 10,0 | 3,9 | 13,3 | 39,3 |
2015 | 12,3 | 9,3 | 3,6 | 12,9 | 42,9 |
Höhe der gesetzlichen EM-Rente
Berechung
Die Höhe der Erwerbsminderungsrente hängt von den jeweiligen Versicherungsjahren und dem Einkommen des Versicherten ab. Die Berechnung der höhe der vollen Erwerbsminderungsrente erfolgt aus den persönlichen Entgeltpunkten x Rentenfaktor x aktuellem Rentenwert. Der Rentenwert trägt bei voller Erwerbsminderungsrente den Wert 1,0.
Zurechnungszeit
Die sogenannte Zurechnungszeit ergibt sich aus dem Zeitraum zwischen dem Erwerbsminderungseintritt und der Vollendung des 62. Lebensjahrs. Durch diese Zurechnungszeit werden die Versicherungsnehmer so gestellt, als hätten sie bis zum 62. Lebensjahr Beiträge gezahlt. Seit 2018 wird die Zurechnungszeit jährlich um 3 Monate angehoben. Menschen, die ab dem Jahr 2024 eine Erwerbsminderungsrente beziehen, werden dann so gestellt, als ob er mit ihrem Durchschnittseinkommen bis zum 65. Geburtstag gearbeitet hätten.
Abschläge reduzieren die Höhe der Rente
Für jeden Monat des vorzeitigen Rentenbeginns vor dem 63. Lebensjahr werden 0,3 Prozent abgezogen. Maximal beträgt der Abschlag 10,8 Prozent. Allerdings wird die Altersgrenze seit 2012 schrittweise bis 2024 auf 65 Jahre angehoben. Nur für Versicherte mit 35 Pflichtbeitragsjahren gilt weiterhin das 63. Lebensjahr als Referenzwert. Diese Grenze wird ab 2024 auf 40 Pflichtbeitragsjahre angehoben. Um eine ersten Überblick über die Höhe der Erwerbsminderungsrente zu bekommen, bietet sich die Berechnung mit Hilfe eines Online-Rechners an.
Durchschnittliche EM-Rente bei voller Erwerbsminderung
(in Euro pro Monat netto vor Steuern, nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung für Rentner):
- 1996: 714 EUR
- 2000: 738 EUR
- 2010: 640 EUR
- 2014: 664 EUR
- 2015: 711 EUR
Durchschnittliches Rentenzugangsalter:
- 1996: 51,9
- 2000: 51,4
- 2010: 50,4
- 2014: 51,2
- 2015: 51,6
Da die Erwerbsminderungsrente in der Regel nicht zum Leben reicht und so eine Versorgungslücke entsteht, sollte man sich bereits frühzeitig über eine private Absicherung, bspw. eine Berufsunfähigkeitsversicherung, Gedanken machen.
Antrag auf Erwerbsminderungsrente
Antrag
Keine Rente ohne Antragstellung. Beim zuständigen Träger der Rentenversicherung (z.B. Deutsche Rentenversicherung Bund) kann ein Antrag gestellt werden, das Antragsformular finden Sie auf der Webseite der Deutschen Rentenversicherung.
Ein formloser Rentenantrag ist zwar möglich, bedeutet jedoch, dass sich die Prüfung des Leistungsanspruchs unnötig in die Länge ziehen kann.
Weitere Nachweise
Grundsätzlich verfügt der Rententräger bereits über die wesentlichen Versicherungsunterlagen. Trotzdem kann es vorkommen, dass einzelne Nachweise (z.B. über Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Ausbildung) fehlen und im Versicherungsverlauf noch nicht berücksichtigt sind. Diese Unterlagen sollten bei der Antragstellung eingereicht werden.
Ärztliche Unterlagen & Atteste
Die gesetzliche Rentenversicherung prüft, ob die medizinischen Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente vorliegen. Dies erfolgt anhand der von Ihnen vorgelegten ärztlichen Berichte. Der Rententräger ist berechtigt, weitere ärztliche Gutachten anzufordern bzw. durch den sogenannten Vertrauensarzt erstellen zu lassen. Auf diese Weise soll das Restleistungsvermögen auf dem Arbeitsmarkt festgestellt werden.
Ablehnung des Antrags auf Erwerbsminderungsrente
Ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente kann abgelehnt werden, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind oder keine medizinischen Gründe vorliegen. Insgesamt werden mehr als 40 Prozent aller Anträge auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt.
Nach Erhalt des Bescheids hat der Antragsteller jedoch ein Widerspruchsrecht. Innerhalb eines Monats muss der Betroffene den Widerspruch bei der Behörde einreichen und begründen, warum ihm die Rente trotzdem zusteht. Kommt es erneut zu einer Ablehnung, kann der Versicherungsnehmer noch Klage vor dem Sozialgericht einreichen.
Anträge und Ablehnungen bei der Deutschen Rentenversicherung
Neuanträge | Bewilligungen | Ablehnungen | |
1996 | 510.284 | 283.382 | 208.561 |
2000 | 452.339 | 217.132 | 175.963 |
2005 | 360.123 | 173.630 | 160.294 |
2010 | 367.650 | 189.960 | 155.644 |
2013 | 356.482 | 189.795 | 151.288 |
2015 | 355.813 | 188.151 | 147.005 |
2016 | 358.291 | n.v. | n.v. |
Hinzuverdienstmöglichkeiten
Grundsätzliches
Wer eine Erwerbsminderungsrente erhält, hat die Möglichkeit sich unter bestimmten Voraussetzungen und in Grenzen etwas hinzuzuverdienen, bspw. in Form einer geringfügigen Beschäftigung (Minijob). Die Grenzen gelten immer für ein ganzes Kalenderjahr und sind für die alten Bundesländer und die neuen Bundesländer gleich. Dabei gelten bei voller Erwerbsminderung andere Bedingungen als bei teilweiser.
Wichtig: Jede Nebentätigkeit muss dem Träger der Rentenversicherung gemeldet werden! Was zudem zu beachten ist: Wer über sein Restleistungsvermögen hinaus tätig ist, kann seinen Anspruch auf Rente verlieren.
Zum Hinzuverdienst gehören folgenden Einkommen:
- Einkommen aus abhängiger Beschäftigung (lohnsteuerpflichtige Einnahmen),
- steuerrechtlicher Gewinn (bspw. Einkommen aus selbständiger Tätigkeit )
- verschiedene Sozialleistungen
- vergleichbare Einkommen, z.B. Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis
Es ist in jedem Fall sinnvoll, sich vor der Aufnahme einer Tätigkeit vom Träger der Rentenversicherung beraten und eine Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen durchführen zu lassen.
Hinzuverdienst bei teilweiser Erwerbsminderung
Die Hinzuverdienstgrenze wird für jeden Versicherungsnehmer individuell berechnet und wir auf Basis des höchsten beitragspflichtigen Jahreseinkommen aus den vergangenen 15 Jahren berechnet, beträgt im Jahr 2018 jedoch mindestens 14798,70 Euro. Übersteigt der Hinzuverdienst die individuelle Grenze, so wird der darüberliegende Betrag auf das Jahr umgelegt und 40 Prozent davon auf die Rente angerechnet. Zudem gibt es einen ebenfalls individuell berechneten Hinzuverdienstdeckel - eine Obergrenze für den Zuverdienst. Wird dieser überstiegen, so wird der darüber liegende Betrag zu 100 Prozent auf die Rente angerechnet.
Hinzuverdienst bei voller Erwerbsminderung
Bei Bezug der vollen Erwerbsminderungsrente besteht die Möglichkeit, 6.300 Euro jährlich hinzuzuverdienen. Wird dieser Betrag überschritten, wird alles, was darüber liegt auf 12 Monate umgelegt und 40 Prozent davon auf die Rente angerechnet. Auch hier gibt es einen Hinzuverdienstdeckel, ab dem das Einkommen zu 100 Prozent auf die Rente angerechnet wird.
Dauer der Rentenzahlung
In der Regel wird die Erwerbsmindeurngsrente als Zeitrente ausgezahlt, sie ist somit befristet. Dies bedeutet, dass die monatliche Rente nicht zeitlich unbefristet gewährt wird, sondern nach Ablauf von drei Jahren überprüft wird, also insbesondere, ob die medizinischen Voraussetzungen noch vorliegen. Sollte der Rententräger zu dem Ergebnis kommen, dass die Arbeitsfähigkeit bei mehr als sechs Stunden am Tag liegt, wird die Zahlung eingestellt.
Nach neun Jahren Bezugsdauer wird die EM-Rente jedoch zur Dauerrente. Zum 65. bzw. 67. Lebensjahr des Versicherten wird die Zahlung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in eine normale Altersrente umgewandelt.
Eine unbefristete Rente wird nur in wenigen Ausnahmefällen bewilligt, z.B. wenn keine Aussicht auf eine gesundheitliche Verbesserung besteht. Die erste Rentenzahlung erfolgt in der Regel ab dem siebten Monat der Erwerbsminderung. Bei zeitlich unbefristeten Renten startet die Rentenzahlung bereits ab Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit.
Wie hoch darf der Hinzuverdienst sein?
Eine geringfügige Beschäftigung mit einem Gehalt bis zu 450 Euro ist möglich, ohne dass es Abzüge bei der Rente gibt. Bis zu zweimal im Jahr kann das Monatseinkommen sogar bei 900 Euro liegen - für Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld. Ein Hinzuverdienst mindert jedoch unter Umständen die Erwerbsminderungsrente. Die Höhe der Abzüge hängt von der Art der Rente und der Höhe des Verdienstes ab.
Kürzungsbeträge bei Hinzuverdienst:
- Teilweise Erwerbsminderungsrente: 50 bzw. 100 Prozent
- Vollel Erwerbsminderungsrente: 25 / 50 / 75 / 100 Prozent
Wer also trotz Erwerbsminderung weiter arbeiten möchte, sollte vorab klären, wie viel man dazuverdienen darf, ohne dass die Rente gekürzt wird. Weitere Informationen erhalten Betroffene im Rentenbescheid.
Private Absicherung ein Muss
Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente wird nur im Falle der Arbeitsunfähigkeit bezahlt. In den meisten Fällen tritt bei den Versicherungsnehmern jedoch keine Erwerbsunfähigkeit, sondern eine Berufsunfähigkeit ein - es besteht also noch die Möglichkeit, in einem anderen Beruf weiterzuarbeiten. Alle Versicherten, die nach dem 01.01.1961 geboren sind, erhalten dann keine Leistungen aus der gesetzlichen Versicherung.
Theoretisch ist zwar im Fall einer Berufsunfähigkeit eine Teilhabe am Arbeitsmarkt möglich, oft gestaltet sich jedoch das Finden eines neuen Arbeitsplatzes schwierig. Zudem ist die Aufnahme einer Beschäftigung in einer anderen Branche zumeist mit Lohnausfällen verbunden. Ein gelernter Maurer, der beispielsweise aufgrund von Rückenproblemen sein Beruf nicht mehr nachgehen kann, wird in der Regel als Pförtner wesentlich weniger Geld verdienen. Aus diesem Grund ist eine private Absicherung der Berufsunfähigkeit dringend zu empfehlen.
Private Versicherungsgesellschaften leisten auch im Fall einer Berufsunfähigkeit und sehen zumeist keine abstrakte Verweisung auf einen anderen Beruf vor. Grundsätzlich sind zwar Privatversicherte auch dazu angehalten, sich beruflich umzuorientieren, eine Verweisung auf einen anderen Beruf ist jedoch nur bei einer Zumutbarkeit möglich. Laut der allgemeinen Definition bedeutet dies, dass der Versicherungsnehmer eine Arbeitsstelle in einem anderen Arbeitsgebiet nur annehmen muss, wenn das Verdienstniveau sich ähnlich gestaltet. Zumeist ist dies gegeben, wenn er dort mindestens 80 Prozent seines letzten Nettogehalts verdient.